Die Entwicklung der Rundfunktechnik in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg

Da die Rundfunktechnik vor den einschneidensten Veränderungen seit seiner Einführung in Deutschland 1923 steht, sollen einige Kapitel der Radiogeschichte in unserem Land in Erinnerung gerufen werden. Seit Beginn des Rundfunks wurden die Sender auf LW, MW und KW mit Amplitudenmodulation (AM) betrieben, später kam UKW mit FM dazu. Inzwischen ist auch hier die Digitaltechnik im Vormarsch, die nach ihrer Einführung Radios der alten Generation zu wertlosen Schrotthaufen werden lässt. Das soll Anlass sein, vor dem Verschwinden dieser Technik ein Stück deutscher Industriekultur Revue passieren zu lassen.

 Die Entwicklung nach dem verlorenen Krieg

 Nach dem zweiten Weltkrieg lag die deutsche Radioindustrie aus verschiedenen Gründen total am Boden. Umstellung auf Rüstungsproduktion im Kriege, Ausbomben der Industrieanlagen, anschließende Demontage durch die Siegermächte und Produktionsverbot, wie es die Firma SABA im französisch besetzten Teil Deutschland traf, waren einige der Gründe, warum 1945/46 nur eine ganz bescheidene Radioproduktion in Gang kam. Dabei fehlten überall Rundfunkapparate, weil durch Bombenschäden, Flucht und Vertreibung, sowie durch Beschlagnahmung der Siegermächte viele Geräte verloren gegangen waren.

Unglücklicherweise fehlte es an allem. Metalle für die Chassis, Lautsprecher und die Mechanik der Rundfunkgeräte waren Mangelware. Es gab keine Siebelkos für die Netzteile, die Produktion ziviler Röhrentypen war noch nicht wieder in Gang gekommen. Stattdessen wurden vorhandene Bauteile aus der militärischen Funktechnik und deren Instandsetzungsbetrieben für die Konstruktion teilweise abenteuerlicher Empfangsgeräte genutzt. Dies war die Zeit der sogenannten "Notradios". Nicht nur die renommierten Großfirmen, sondern auch unzählige Klein- und Kleinstbetriebe versuchten sich mit derlei Empfängern über Wasser zu halten, bzw. eine Produktion aufzubauen. 

Bild 1: Die Wehrmachtsröhre RV12P2000

Ausführlich dokumentiert wird diese Entwicklung im empfehlenswerten Buch von Abele [1].

Die Standardröhre (Bild 1) war die legendäre RV12P2000 [2], die Mitte der 30er Jahre als Universaltype für militärische Zwecke entwickelt wurde. Mit miniaturisiertem Systemaufbau und Tauglichkeit bis in den UKW-Bereich war sie eine geniale Entwicklung, das einzig noch nicht perfekte war der Pressstoff-Sockel.  Nach dem Krieg fanden die Restbestände als HF-und NF-Verstärker, Audion, Endröhre und sogar als Netzgleichrichter Verwendung. Aber diese Röhren waren bald nicht mehr zu finden und mussten nachproduziert werden.Die meisten Empfänger waren einfachste Einkreisgeräte für Mittel- und Langwelle, zum Teil war aber auch Kurzwelle vorgesehen. 

Bild 2:  Schaub E 48 (1947) Bild 3: Lorenz S 48 (1947) Bild 4: AT-217 GWK (1947)

Beispiele für solche Geräte zeigen die Bilder 2-4, wie das einfache Innenleben ausgesehen hat, erkennt man in Bild 5. Zu für die meisten Interessenten unerschwinglichen Preisen gab es aber auch schon 6-Kreis-Superhets wie den in Bild 6 abgebildete Telefunken-Empfänger 644GWK von 1946, der konstruiert war als Allstromgerät für die Röhrentypen UCH11, UBF11, UCL11 und UY11 der Stahlröhren-Serie. Diese waren schon in Vorkriegsgeräten des Baujahres 1939/40 eingesetzt worden, 1946 war aber deren Produktion noch nicht wieder möglich. Stattdessen verwendete man Adaptersockel, auf die mehrere RV12P2000 mit zusätzlich notwendigen Bauteilen aufgesetzt wurden (Bild 7).

Bild 5: AT-217 GWK innen Bild 6: Telefunken 644GWK (1947) Bild 7: Adapter mit RV12P2000

Allmählich wurden auch wieder Röhren der E- und U-Stahlserie gefertigt, zusätzlich E- und U-Röhren der Topfsockelreihe, die eigentlich einen technischen Rückschritt gegenüber der RV12P2000 darstellten. Im englischen Sektor begann man zur Vereinheitlichung der Bauteileproduktion Ende 1947 bis 1949 den sogenannten "Standard-Super" als Gerät für Gleich- und Wechselstrom mit der Bestückung UCH5, UCH5, UBL1 und UY3 zu fertigen. Dies war ein Sechskreis-Superhet für LW, MW und KW, der von diversen Firmen gebaut wurde.

Die Bilder 8 und 9 zeigen ein solches Gerät der Firma WILAG (Willisen-Apparate-Bau in Lehnsan/ Schleswig-Holstein), entstanden aus einem Betrieb, der für die Rüstung Funkortungsanlagen gefertigt hatte und  nun versuchte, mit ziviler Fertigung zu überleben. Die Firma musste Ende 1949 wie viele andere auch, gerade zu Beginn des Wirtschaftswunders, die Produktion wegen Konkurses einstellen.

Bild 8: Standard-Super GW von Willisen Bild 9: Standard-Super von innen

 

Die Auswirkungen des Wellenplans von Kopenhagen

Im Jahre 1948 wurden auf der internationalen Fernmeldekonferenz in Kopenhagen die Frequenzen der Lang- und Mittelwellensender neu verteilt. Deutschland als Verlierer des Weltkriegs wurde zur Konferenz garnicht erst eingeladen. Es musste seine für Tages-Fernempfang geeigneten Frequenzen, die seit dem Wellenplan von Luzern (1934) die Rundfunkversorgung sichergestellt hatten, aufgeben. Stattdessen wurden nur wenige, schlecht geeignete Frequenzen im höherfrequenten Bereich der Mittelwelle zugeteilt. Die Alternative war, entweder mit Gleichwellensendern kleiner Leistung auf Mittelwelle überall den Empfang zu gewährleisten oder ein grundlegend neues, damals revolutionäres Rundfunkkonzept zu verwirklichen.

Man entschied sich für den zweiten Weg und baute auf Versuchen auf, die schon Mitte der 30er Jahre auf Ultrakurzwelle im 3m-Band durchgeführt wurden. Der neue UKW-Bereich bot gleichzeitig die Möglichkeit, Frequenzmodulation (FM) einzuführen. Damit konnte wegen der größeren zur Verfügung stehenden Bandbreite gegenüber dem Mittelwellenspektrum eine viel bessere Übertragungsbandbreite der NF-Frequenzen erzielt werden und der Klang war deutlich besser als mit AM. 

Die als Restriktionsmaßnahme der Siegermächte gegen Deutschland gedachte Beschneidung der Frequenzen erwies sich so als Bumerang, denn mit der Einführung der neuen Übertragungstechnik lief die deutsche Rundfunkindustrie für einige Jahrzehnte wieder zur Weltgeltung auf und ermöglichte so auch einen großen Exportanteil, weil sich die neue FM-Technik auch anderenorts etablierte.

Erste Anfänge der UKW-Technik

Ab 1950 wurde UKW als "Welle der Freude" dem Rundfunkhörer nahegebracht. Zunächst sollte der Aufwand für zusätzlichen UKW-Empfang gering gehalten werden. Man konstruierte einfache, auch nachrüstbare Pendelaudion-Empfänger (Bild 10) für den FM-Bereich von 87-100MHz und spendierte den Mischstufen bei einfacheren Superhets mit ihrer multiplikativen Mischung einfach noch einen weiteren Frequenzbereich. Als Demodulationart kam zunächst einfache Flankendemodulation zum Einsatz. Diese technischen Konzepte waren aber schnell überholt, weil Empfindlichkeit und Klangqualität sehr zu wünschen übrig ließen.

Bald ging man dazu über, eine eigene UKW-Mischstufe, geeignete Zwischenfrequenzverstärker auf meist 10,7MHz und echte FM-Demodulatoren vorzusehen. Damit ging eine tatsächliche Verbesserung der Klangqualität einher, die der neuen Technik in Kürze zum Durchbruch verhalf. Diese Entwicklung begann zunächst in den Westzonen, mit zeitlicher Verzögerung folgte auch die Sowjetzone nach.

Bild 10:

Pendel-UKW-Zusatz von Lorenz zum nachträglichen Einbau (1950)

Waren die Geräte bis etwa 1952 weitgehend noch mit Drehschaltern für die Bandwahl ausgestattet, setzten sich danach die Drucktasten durch. Die Radios hatten ein ziemlich einheitliches Aussehen. Die Gehäuse hatten Querformat, die Skala saß leicht schräg angebracht unten und darüber befand sich die mit Stoff bespannte Schallwand. Die Geräte waren fast durchweg mit weißen Drucktasten für die Bereichswahl ausgerüstet ("Klaviertasten"), der Sammler nennt sie wegen des Aussehens "Gebissradios" (Bild 11).

Einfache Geräte hatten nur einen Lautsprecher, bessere deren zwei oder drei mit Frequenzweichen. 

Bild 11: Blaupunkt Riviera mit Drucktasten (1954)

Bei den Röhren hatte sich die Allglastechnik mit kleineren Glaskolben durchgesetzt. Bild 12 zeigt die neuen Ausführungen, die sich mit den Noval- und Miniaturtypen bis zum Ende der Röhrenära gehalten haben. Dazu gehörten die Rimlock-Serie (40er) von 1950-1953, die Noval-Serie (80er) und die Miniatur-Serie (90er)

Bild 12: Die neuen Miniaturröhren

 

 

 

 Bild 13: Grundig 5010W

Spitzengeräte der 50er Jahre

Bis auf wenige Ausnahmen spielten jetzt Geradeausempfänger keine Rolle mehr.

Zu Beginn waren bei teureren Geräten mehrere Lautsprecher mit Frequenzweichen eingebaut, alle aber von der Frontseite her abstrahlend. Spitzengeräte wie der Grundig 5010W (Bild 13) hatten eine Gegentakt-Endstufe. 

 Ausgestattet mit 2 leistungsstarken Endröhren EL12 (Bild 14) war das die kräftigste je in einem deutschen Radio eingesetzte Audiostufe der Röhrenzeit. 

Bild 14: 2xEL12 im Gegentakt

Der Klang und die Lautstärke lassen heute noch das Herz jedes Röhren-Freaks höher schlagen. Für AM hatten Standard-Geräte 6 Kreise, für FM wurden 8 spendiert. Die Spitzenapparate konnten mit bis zu 12 Kreisen für AM und 14 für FM aufwarten.

Noch gab es HF-Vorstufen für AM, eine drehbare Ferrit-Antenne (Bild 15) war dabei Standard. Fast alle besseren Modelle besaßen als Abstimmhilfe ein „Magisches Auge“, das zuerst meist als Fächer ausgeführt war, später als „Magische Waage“ ein Band zur Feldstärkeanzeige hatte.

Der nächste Entwicklungsschritt, der für lange Jahre das Bild prägte, war die Einführung des "3D-Raumklangs".

Bild 15: Drehbare Ferritantenne

Ursprünglich wurde diese Technik in den Laboren des Nordwestdeutschen Rundfunks (NWDR) entwickelt und von Blaupunkt mit den Modellen Florida, Nizza, Barcelona und Riviera (Bild 11) auf den Markt gebracht [3].

Zwar war der dem Hörer versprochene „3-dimensionale“ Klangeindruck ohne Stereophonie technisch nicht machbar, aber die Wiedergabeverbesserung war deutlich hörbar.

Zur Funkausstellung 1954 hatte Max Grundig, ein klassischer Unternehmertyp der Wirtschaftswunderjahre, als erster diese Technik übernommen und mit großem Werbeaufwand die Konkurrenz damit geschockt. Grundig hatte mit einem Kleinstbetrieb nach dem Krieg in Fürth angefangen und durch geschickte Unternehmenspolitik und Aufkauf von anderen Firmen seine Firma zu einem Imperium mit 60.000 Mitarbeitern ausgebaut. Der 3D-Klang wurde erreicht durch den Einbau von zwei Hochton-Lautsprechern an den Seitenwänden und sollte einen plastischeren Höreindruck in den Wohnzimmern der 50er Jahre vermitteln. Auf jeden Fall war es Blaupunkt und Grundig gelungen, damit die anderen Firmen zum Nachziehen zu zwingen. Beispielsweise wurden bei SABA schon fertige Geräte wieder in die Produktion geholt, in die Seitenwände Ausschnitte gesägt und die zusätzlichen Lautsprecher nachgerüstet. So kommt es, dass SABA-Radios der „5er“-Serie von 1954 als verschiedene Typen ohne und mit 3D existieren.

Bild 16: Freiburg-Automatik 6-3D

Auf eine weitere Besonderheit soll hier noch eingegangen werden, die von SABA zur Perfektion gebracht wurde. Schon 1938 hatte man im Schwarzwald versucht, ein Spitzengerät (986WLK) nur noch mit Motorabstimmung und ohne jede manuelle Möglichkeit zur Sendereinstellung auf den Markt zu bringen. Das Projekt scheiterte aber noch an einigen technischen Unzulänglichkeiten, weshalb die Geräte zurückgerufen und auf Handbetrieb umgerüstet wurden. 1955 hatte man die Entwicklung aber im Griff und eine motorgesteuerte Senderwahl ermöglichte auch eine Fernbedienung per Kabel, wie sie bis dahin noch nicht verwirklicht werden konnte. Die Radios der Freiburg-Serie (Bild 16) gehören zu den besten, die je in Deutschland gebaut wurden. Grundig versuchte, mit dem sogenannten Fern-Dirigenten nachzuziehen, erreichte aber nicht die SABA-Perfektion.

Eine interessante Rolle spielte eine spezielle UKW-Technik der Firma Körting, die vor dem Krieg schon in Leipzig (Fa. Dietz und Ritter) Spitzengeräte fertigte. 

Neu angefangen in Grassau/Bayern knüpfte Firmeninhaber Oswald Ritter mit einem Synchron-Demodulator für FM und unerreichter UKW-Empfangsleistung an frühere Erfolge an, übernahm sich aber wirtschaftlich. Das ermöglichte dem Versandhauschef Neckermann, für einige Jahre den Verkauf Körting-Produktion unter dem Namen des Versandhauses zu übernehmen. Die streng an den Einzelhandel gebundenen Geräte der anderen Industriefirmen durfte er nämlich nicht per Katalog verkaufen. So wurden auch die Geräte der Syntektor-Reihe (Bild 17) unter der Bezeichnung "Neckermann Royal-Syntektor 111/21" 1955 vergleichsweise preiswert in den Versandhandel gebracht. Diese Radios dürften mit ihrer Trennschärfe und Empfindlichkeit den besten UKW-Empfang der Röhren-Aera gehabt haben.

Bild 17: Royal- Syntektor 111/21

Bild 18: Klangregister bei Loewe-Apollo

Weitere Entwicklung  

Ab den Jahren 1957/58 trugen die Geräte den veränderten Hörgewohnheiten Rechnung. Empfang auf Mittel-, Lang- und Kurzwelle spielte nur noch eine untergeordnete Rolle und das AM-Empfangsteil wurde entsprechend einfacher gestaltet und wies auch bei teureren Geräten meist nur noch 6-7 Kreise auf. Zusätzlich zum Höhen- und Tiefenregler gab es bei besseren Empfängern ein sogenanntes Klangregister, das mit Drucktasten eine zum Teil recht aufwändige Frequenzkorrektur für verschiedene Hörbedingungen fest vorgab. So gab es Tasten für Bass, Sprache, Orchester oder Jazz (Bild 18). Höhepunkt dieser Entwicklung war eine kontinuierliche Anhebung, bzw. Absenkung verschiedener Frequenzbereiche, wiederum von Grundig eingeführt, das "Wunschklang-Register". Heute würde man das als Equalizer bezeichnen.

Bis Mitte der 60er Jahre wurden in den Heimradios noch Röhren verbaut, dann zog auch dort der Transistor wie auch schon zuvor in den Reisegeräten ein. Parallel dazu wurde 1963 noch kurze Zeit mit Röhren die Stereo-Technik eingeführt, aber auch hier gehörte die Zukunft der Halbleitertechnik.

Inzwischen begann die Konkurrenz aus Fernost zunehmend auf den Markt zu drängen und eine deutsche Firma nach der anderen wurde geschlossen oder zu Tode fusioniert. Heute haben die traditionellen Namen wie Telefunken oder SABA absolut nichts mehr mit der einheimischen Produktion zu tun. Es sind reine Handelsnamen, die des noch guten Klangs bei Kunden wegen verwendet werden und zum Teil in der Vergangenheit mehrfach den Inhaber gewechselt haben. Die Fertigung hat sich inzwischen von Japan über Taiwan und Korea nach China verlagert.

Dem an der Technik interessierten Sammler bleibt nur noch die Möglichkeit, das eine oder andere Radio vor dem Sperrmüll zu retten und zu restaurieren. Ein Hören echter Sender ist nur noch bis zum Einführen der Digitaltechnik machbar, danach bleibt nur noch das regelmäßige Entstauben im Regal oder das Einspeisen eines CD- oder MP3-Signales auf den Tonabnehmer-Eingang. Für jemanden, der mit der interessanten alten Technik groß geworden ist, eine wenig erbauliche Vorstellung.....

Literatur- und Quellenangaben:

[1] Abele, G.: Radio-Chronik, Füsslin-Verlag, Stuttgart

[2] Salzmann, G.: Die RV12P2000, GFGF-Schriftenreihe (vergriffen)

[3] Knoll, Hans M.: Die Geschichte des 3D-Raumklangs im Rundfunkgerät,  zu finden bei www.radiomuseum.org